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Merkblatt über die Rechtsverfolgung in Zivil- und Handelssachen in Tunesien

03.03.2023 - Artikel

A. Allgemeine rechtliche Grundlagen

Zwischen Deutschland und Tunesien existiert ein Vertrag vom 19.07.1966 über Rechtsschutz und Rechtshilfe, die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie die Handelsschiedsgerichtsbarkeit (veröffentlicht im BGBL 1969, Teil II, Seite 889 ff, abgedruckt auch in Bülow-Böckstiegel „Internationaler Rechtsverkehr“ C.H. Beck Verlag).

B. Geltendmachung einer Forderung

I. Einziehen einer Forderung außergerichtlich

1. Aufenthaltsermittlung

In Tunesien gibt es kein mit dem deutschen Meldewesen vergleichbares System der Personenregistrierung. Ohne die Angabe konkreter Personendaten wie z.B. vollständiger Name, Geburtsdatum, Geburtsort, Wohnort, Namen und Adresse der Eltern, Geschwister, anderer Verwandter, Name und Anschrift des Arbeitgebers usw. ist eine Aufenthaltsermittlung nicht möglich.

Sollten konkrete Personendaten vorliegen, kann ein tunesischer Rechtsanwalt kostenpflichtig beauftragt werden, bei der Aufenthaltsermittlung behilflich zu sein. Der Rechtsanwalt kann in der Regel in einem überschaubaren Zeitraum das Ergebnis seiner Nachforschungen mitteilen.

Der Botschaft ist es nicht möglich, ein entsprechendes Auskunftsersuchen an das tunesische Außenministerium zu richten, da aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Informationen über tunesische Staatsangehörige weitergegeben werden.

2. Beauftragung eines Rechtsanwalts

Nach erfolgter Aufenthaltsermittlung bzw. bei bekannter Adresse kann ein tunesischer Anwalt kostenpflichtig beauftragt werden, in der Angelegenheit tätig zu werden. Hierfür kann eine unverbindliche Liste tunesischer Anwälte zur Verfügung gestellt werden, die auch auf der Homepage der Botschaft einsehbar ist. Die Auswahl und Beauftragung des Anwaltes erfolgt direkt durch den Gläubiger.

3. Handelskammer

Die deutsch-tunesische Industrie- und Handelskammer, Immeuble „Le Dôme“, 1053 Berges du Lac, Tel.: 00216-71 965 280, Fax 00216-70 014 179, E-Mail: info@ahktunis.org, Website: www.ahktunis.org, befasst sich ebenfalls mit der außergerichtlichen Durchsetzung von Forderungen. Die Handelskammer erhebt Gebühren; bei erfolgreichem Abschluss wird eine Erfolgsprämie fällig.

Bei erfolgloser Intervention weist die Handelskammer auch auf die kostenpflichtige Beauftragung eines tunesischen Anwaltes hin. Eine Liste tunesischer (auch deutschsprachiger) Rechtsanwälte ist dort erhältlich.

4. Inkassobüros

Weder der Botschaft noch der AHK liegen Erfahrungswerte zu Inkassobüros vor.

5. Mahnverfahren

Eine Mahnung sollte durch einen Gerichtsvollzieher in schriftlicher Form mit Fristsetzung zugestellt werden. Zum gerichtlichen Mahnverfahren siehe II.4.a.

II. Rechtsweg (Einklagen einer Forderung)

1. Gesetzliche Grundlagen

Code Civil, Code des Obligations et des Contrats, Code de Procédure Civile et Commerciale

2. Internationale / örtliche Zuständigkeit

Die Zuständigkeit richtet sich nach dem Wohnsitz/Sitz des Beklagten; eine vertragliche Vereinbarung eines ausländischen Gerichtsstandes ist grundsätzlich möglich.

3. Sachliche Zuständigkeit

In Zivil- und Handelssachen richtet sich die Zuständigkeit der tunesischen Gerichte nach Art der Klage und dem Streitwert.

a) Juge Cantonal (Kantonalrichter)

Die Kantonalrichter entscheiden erstinstanzlich

  • in Zivil- und Handelssachen bis zu einem Streitwert von 7.000 TND (Klagen, die Personen und bewegliche Sachen betreffen sowie Zahlungsklagen).
  • im Beitreibungs- (Zahlungsbefehls-) verfahren
  • in Unterhaltssachen, unabhängig vom Streitwert
  • über possesorische Klagen
  • im einstweiligen Rechtsschutzverfahren in der Regel dann, wenn die Zuständigkeit in der Hauptsache gegeben ist.
b) Tribunaux de Première Instance (Gerichte der ersten Instanz)

Die Tribunaux de Première Instance sind in allen Rechtsstreitigkeiten zuständig, die nicht ausdrücklich einem anderen Gericht zugewiesen sind. Die Zivilkammern sind mit einem vorsitzenden und zwei beisitzenden Richtern besetzt.

Als Berufungsinstanz entscheiden sie über eingelegte Rechtsmittel gegen Beschlüsse/Urteile des Kantonalrichters und ebenso über solche Urteile, die fälschlicherweise als letztinstanzlich bezeichnet wurden.

Bei der Cour de Première Instance sind Handelskammern eingerichtet. Diese entscheiden über alle Rechtsstreitigkeiten zwischen Kaufleuten in Handelssachen (sofern der Streitwert 7000 TND übersteigt). Die Besetzung der Handelskammern unterscheidet sich von derjenigen der Zivilkammern. Anstelle der beiden beisitzenden Richter sind die Handelskammern mit zwei Kaufleuten besetzt, die beratende Funktion haben.

c) Cour d’Appel (Berufungsgerichte)

Die Cour d’Appel entscheiden über Berufungen gegen Urteile der Tribunaux de Première Instance, Beschlüsse des Präsidenten des Tribunal de Première Instance im einstweiligen Rechtsschutzverfahren sowie gegen Zahlungsbefehle und Kompetenzstreitigkeiten.

d) Cour de Cassation (Kassationshof)

Die Cour de Cassation entscheidet über alle letztinstanzlichen Urteile, wenn besondere Voraussetzungen gegeben sind (Art. 175 tunesische Zivilprozessordnung). Grundsätzlich können nur Fehler bei der Anwendung und Auslegung der Gesetzesvorschrift gerügt werden, sie ist also keine weitere Tatsachen-, sondern Revisionsinstanz.

4. Verfahrensarten

Neben dem (normalen) Hauptsacheverfahren kennt das tunesische Zivilprozessrecht das Mahnverfahren (ordonnance sur requête) und das Eilverfahren (procédure en référé), vgl. 5. Titel der tunesischen Zivilprozessordnung.

a) Mahnverfahren

Das Mahnverfahren wird in den gesetzlich vorgesehenen Fällen und bei besonderer Eilbedürftigkeit auf Antrag durchgeführt. Der Antrag muss auf einem dafür vorgesehenen Formular, versehen mit allen vorhandenen Beweisen, gestellt werden. Die normalerweise fällige Gerichtsgebühr fällt beim Mahnverfahren nicht an. Ebenso findet keine Vorladung und Verhandlung vor dem Gericht statt.

Innerhalb von acht Tagen nach seiner Kenntnis kann jede Partei den Widerruf des Mahnbescheides beantragen.

b) Eilverfahren

Im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes wird auf Antrag in allen eilbedürftigen Fällen durch das zuständige Gericht entschieden, wobei das Hauptverfahren daneben möglich bleibt. Der Antrag ist dem Antragsgegner durch den Gerichtsvollzieher/Notar mit Vorladung zur Anhörung vor dem zuständigen Richter zuzustellen. Zwischen Zustellung und Anhörung ist außerdem die für Eilverfahren zu zahlende Gerichtsgebühr beim Urkundsbeamten einzuzahlen und das Original des Antrags vorzulegen.

Im Eilverfahren besteht ebenfalls die Möglichkeit, Berufung beim Cour d’Appel einzulegen.

5. Kostentragung, Kostenrisiko

Grundsätzlich trägt der Kläger die Honorarkosten des Anwaltes. Nach Urteilsverkündung zu Gunsten des Klägers werden die angefallenen Kosten auf den Beklagten/Verurteilten übertragen.

Anwaltshonorare werden in der Regel frei zwischen Rechtsanwalt und Mandant ausgehandelt. Bei Unstimmigkeiten schlichtet die tunesische Anwaltskammer (Conseil de l’Ordre des Avocats, Palais de la Justice, Boulevard Bab Benat, 1006 Tunis, Tel.: 00216-71 560 315, Fax: 00216-71 568 923) und legt den Betrag nach einer Honorartabelle fest.

6. Anwaltszwang

Es besteht grundsätzlich Anwaltszwang (Ausnahme: Kantonalgerichte, Gerichte der
ersten Instanz in Familiensachen, gerichtliche Verfahren kleinerer Strafdelikte).

7. Prozesskostenhilfe

In Tunesien wird keine Prozesskostenhilfe gewährt.

Deutsche Staatsangehörige haben ungehinderten Zutritt zu den Gerichten und das Recht, sich durch einen in Tunesien zugelassenen Anwalt ihrer Wahl (kostenpflichtig) vertreten zu lassen.

C. Anerkennung und Vollstreckung deutscher Gerichtsentscheidungen

1. Gesetzliche Grundlagen

Vertrag über Rechtsschutz und Rechtshilfe, die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie die Handelsschiedsgerichtsbarkeit (veröffentlicht im BGBL 1969, Teil II, Seite 889 ff, abgedruckt auch in Bülow-Böckstiegel „Internationaler Rechtsverkehr“ C.H. Beck Verlag), insbesondere Teil III. Der Teil III des o.g. Abkommens gilt nur für Entscheidungen in Ehe- und Unterhaltssachen; er findet in Sorgerechtsangelegenheiten keine Anwendung.

2. Zuständigkeiten

Für die Vollstreckung deutscher Gerichtsentscheidungen ist das Tribunal de Première Instance, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Wohnsitz hat oder die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll, zuständig. Für die Anerkennung ausländischer Entscheidungen ist das Tribunal de Première Instance in Tunis zuständig. Weitere Zuständigkeiten finden sich auf dem Internetauftritt des tunesischen Justizministeriums.

3. Formerfordernisse

Die vollstreckende Partei hat eine Ausfertigung des Titels, eine Urkunde über die Rechtskraft und die inländische Vollstreckbarkeit des Titels und eine beglaubigte Abschrift über die Zustellung der den Rechtsstreit einleitenden Klage beizubringen. Alle diese Urkunden sind in die französische oder arabische Sprache zu übersetzen. Die Übersetzung muss durch einen amtlich bestellten oder vereidigten Übersetzer geschehen. Eine Legalisation der Urkunden ist nicht erforderlich.

Die Anerkennungs- und Vollstreckbarkeitserklärung durch das Tribunal de Première Instance ist Voraussetzung für eine Vollstreckung des deutschen Titels in Tunesien.

Gegen die Entscheidung des Gerichts ist Berufung möglich. Das Verfahren ist in der Regel kostenintensiv (Anwaltshonorare, Kosten für Gerichtsvollzieher, Gebühren) und kann mehrere Monate/Jahre in Anspruch nehmen.

4. Anwaltszwang

Es besteht grundsätzlich Anwaltszwang (Ausnahme: Kantonalgerichte, Gerichte der ersten Instanz in Familiensachen, gerichtliche Verfahren kleinerer Strafdelikte).

5. Sonstige Ansprechpartner

Auskunft in Vertrags- und Wirtschaftsangelegenheiten erteilt die deutsch-tunesische Industrie- und Handelskammer. Soll die Handelskammer für den Klienten aktiv tätig werden, wird eine Gebühr sowie bei erfolgreichem Abschluss eine Erfolgsprämie fällig.

Hinweis:

Alle Angaben in diesem Merkblatt beruhen auf Erkenntnissen und Einschätzungen der Botschaft im Zeitpunkt der Textabfassung. Für die Vollständigkeit und Richtigkeit, insbesondere wegen zwischenzeitlich eingetretener Veränderungen, kann jedoch keine Gewähr übernommen werden. Für Rückfragen steht das Rechts- und Konsularreferat der Botschaft gerne zur Verfügung.

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